Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) ist Teil des Europäischen Systems der Finanzaufsicht.  Als unabhängiges Gremium berät sie die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union. Patrick Hoedjes, Leiter für politische und aufsichtliche Konvergenz bei EIOPA, spricht im Interview über aktuelle Entwicklungen und Arbeitsschwerpunkte auf europäischer Ebene.

Was sind die Prioritäten der aktuellen EIOPA-Arbeitsagenda im Versicherungs- und Pensionsbereich?

Es gibt zwei sogenannte Querschnittsthemen, die als strategische Bereiche identifiziert wurden: Nachhaltigkeit und digitale Transformation. Die Auswirkungen dieser Treiber für Veränderungsprozesse ziehen sich durch die gesamte Arbeit von EIOPA. Bei der Nachhaltigkeit liegt unser Hauptaugenmerk auf der „Versicherbarkeit“. Bei der digitalen Transformation besteht die Herausforderung darin, sicherzustellen, dass diese Kraft des Wandels in positive Ergebnisse für die Verbraucher umgesetzt wird: besserer Zugang, bessere Preise, bessere Auswahl. Diese beiden Hauptthemen bilden die Grundlage für unseren strategischen Ansatz.

Welche Gesetzesinitiativen erwarten Sie in der neuen EU-Legislaturperiode, die für den Versicherungssektor relevant sind?

Wir konzentrieren uns derzeit auf zwei große Aufgaben: die Überarbeitung von Solvency II und die neue Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen (IRRD), für die wir uns eng mit den Interessenvertretern der Versicherungswirtschaft und der Verbraucher beraten. Außerdem auf das Inkrafttreten von DORA zu Beginn dieses Jahres. Wir gehen also davon aus, dass sich die neuen EU-Gesetzesinitiativen in Grenzen halten werden.

Welchen Beitrag kann der Versicherungssektor zur Spar- und Investitionsunion (SIU) leisten und wo liegen die möglichen Grenzen?

Der Versicherungs- und auch Pensionsversicherungs-Sektor ist ein natürlicher und zentraler Partner für die Spar- und Investitionsunion. Bei der SIU geht es darum, europäische Ersparnisse zu mobilisieren und gar nicht speziell darum, diese zu erhöhen. Außerdem sollen strategische Prioritäten für langfristige Infrastrukturinvestitionen gesetzt werden. Der Versicherungssektor kann langfristige Produkte als Alternative zum Sparen bei Banken anbieten und als Quelle für die Finanzierung langfristiger Investitionen dienen. Es müssen jedoch die richtigen Bedingungen geschaffen werden. Die Projekte müssen für die Versicherer attraktiv sein. Eine staatliche Beteiligung zur Risikominderung kann dabei helfen. Außerdem müssen die Produkte für die Verbraucher attraktiv sein, damit sie in sie investieren. Dazu müssen Anreize geschaffen werden.

Wie schätzen Sie die gemeinsame Aufsichtskultur in der EU ein und wenn dies der Fall ist, was muss noch verbessert werden?

Mit der Einführung von Solvency II im Jahr 2016 wurden bedeutende Verbesserungen erzielt. Die Harmonisierung der Berichterstattung und ein einziges Regelwerk zur Maximalharmonisierung waren ein großer Schritt nach vorn. Die verschiedenen Rechtsordnungen kommen aus sehr unterschiedlichen Aufsichtstraditionen und haben auch sehr unterschiedliche Märkte unter ihrer Kontrolle. Es sind also immer noch Unterschiede zu beobachten und teilweise zu erklären. Meiner Ansicht nach sind jedoch in drei Bereichen noch Fortschritte erforderlich:

1. Risikobasierte Beaufsichtigung vs. der Compliance-basierende. Viele nationale Behörden können sich bei der Umsetzung der risikobasierten Aufsicht noch verbessern;

2. Beaufsichtigung von internen Modellen. Unsere Vergleichsstudien zeigen, dass es in diesem Bereich eindeutig Raum für weitere Konvergenz zwischen den nationalen Behörden gibt, trotz des Vorbehalts, dass die Modelle einzigartig und schwer zu vergleichen sind;

3. Durchsetzung. Das Solvency-II-Regelwerk ist sehr detailliert in Bezug auf die laufende Beaufsichtigung von Unternehmen geschrieben. Wenn es jedoch um die Durchsetzung geht, wenn Unternehmen nicht im Interesse ihrer Versicherungsnehmer handeln, sehen wir viele nationale Beschränkungen. Um den Binnenmarkt besser zu schützen, müssen die Aufsichtsbehörden in der Lage sein, schneller und entschlossener zu handeln.

Wie kann die Versicherungswirtschaft zur Schließung der Pensionslücke beitragen und welche legislativen Möglichkeiten gibt es dazu auf EU-Ebene?

Wir glauben, dass die Pensionslücke durch die Entwicklung eines gesunden 3-Säulen-Pensionssystems in jedem EU-Mitgliedstaat angegangen werden sollte. Aus Sicht des Pensionsempfängers diversifiziert ein 3-Säulen-System die Risiken und erhöht die Chance auf gute Pensionszahlungen im Alter. Die Daten zeigen, dass in Ländern, in denen solche Systeme gut entwickelt sind, die Bürgerinnen und Bürger viel länger im Leben wirtschaftlich aktiv bleiben, was zu einer insgesamt höheren BIP-Entwicklung beiträgt. Dies kann damit zusammenhängen, dass der Einzelne mehr Gewissheit über seine Altersvorsorge hat, was sich positiv auf das wirtschaftliche Verhalten auswirkt.

Unserer Ansicht nach hat die Einbeziehung von Versicherern klare Vorteile. Im Rahmen gleicher Wettbewerbsbedingungen mit anderen Anbietern sollte der Versicherungssektor einen Beitrag leisten, z. B. durch die Bereitstellung von Produkten für die private Altersvorsorge im Rahmen der dritten Säule. Darüber hinaus können die Versicherer den Bürgern helfen, ihr Alterseinkommen in der Dekumulierungsphase (Säulen II und III) zu sichern.

Könnten Sie die Aktivitäten von EIOPA im Bereich der Versicherungslösungen für NatKat-Risiken erläutern und wie es bei diesem Thema auf EU-Ebene weitergeht?

Das Schlüsselwort bei NatKat-Risiken ist Versicherbarkeit: Derzeit sind nur 25 % der Schäden durch Naturkatastrophen versichert und diese Zahl muss steigen. Die Bürger müssen besser geschützt werden. Um dies zu erreichen, arbeitet die EIOPA an einer Reihe von Initiativen, die sich ergänzen und kollektiv zusammenwirken:

1. Die Risiken müssen richtig kalibriert werden, damit die Versicherer über das erforderliche Deckungskapital für Schäden verfügen. EIOPA hat vor kurzem ihre NatKat-Kalibrierungen aktualisiert, um den steigenden Kosten in diesem Bereich Rechnung zu tragen.

2. Die Versicherer können es nicht alleine schaffen: Sie brauchen Unterstützung von den Regierungen und auf EU-Ebene. EIOPA hat zusammen mit der EZB im Dezember 2024 einen Bericht mit dem Titel „Towards a European system for natural catastrophe risk management“ veröffentlicht, der die Vorteile von öffentlich-privaten Partnerschaften auf nationaler Ebene beschreibt und als Ergänzung eine mögliche Lösung auf EU-Ebene fordert.

3. Versicherer können es nicht alleine schaffen: Einzelne Bürger können Maßnahmen zur Schadensbegrenzung ergreifen, die die Auswirkungen und Schäden von Naturkatastrophen erheblich reduzieren können. Zu diesem Zweck entwickelt die EIOPA ein Pilotinstrument zur Sensibilisierung für Naturkatastrophenrisiken und Präventionsmaßnahmen, das den Bürgern einen besseren Einblick in die Risiken geben soll, denen sie ausgesetzt sind, und wie sie sich besser schützen können. Idealerweise würde dies mit Anreizen kombiniert, um individuelle Maßnahmen zu unterstützen. Eine erste Konsultation zu dem Sensibilisierungsinstrument lief von Dezember 2024 bis Ende Februar 2025.

Sie haben öffentlich-private Partnerschaften (PPP) im Bereich der NatKat-Risiken angesprochen. Welches Potenzial haben solche Lösungen und gibt es auch andere Bereiche, in denen PPPs einen Mehrwert schaffen könnten?

Wie bereits erwähnt, hat EIOPA kürzlich gemeinsam mit der EZB ein Papier zu diesem Thema veröffentlicht. Es zeigt, dass nationale öffentlich-private Versicherungssysteme dazu beitragen, die Versicherungsschutzlücke in mehreren Ländern zu verringern. Es wird untersucht, wie diese Systeme private und öffentliche Mittel einsetzen, um dies zu erreichen.

Aufbauend auf bestehenden nationalen und EU-Strukturen schlagen EIOPA und die EZB eine mögliche Lösung auf EU-Ebene vor, die aus zwei sich ergänzenden Säulen besteht:

1. Ein öffentlich-privates EU-Rückversicherungssystem, um den Versicherungsschutz für Naturkatastrophenrisiken zu erhöhen. Durch die EU-weite Bündelung privater Risiken und Gefahren würde dieses System Größenvorteile nutzen und die Deckung hoher Risiken auf europäischer Ebene diversifizieren. Es würde durch risikoabhängige Prämien von (Rück-) Versicherern oder nationalen Versicherungssystemen finanziert werden.

2. Ein EU-Fonds für die öffentliche Finanzierung von Katastrophen, um das öffentliche Katastrophenrisikomanagement in den Mitgliedstaaten zu stärken. Finanziert durch Beiträge der Mitgliedstaaten würde dieser Fonds den Wiederaufbau öffentlicher Infrastrukturen nach Naturkatastrophen unterstützen, vorausgesetzt, die Mitgliedstaaten haben vor dem Ereignis vereinbarte Maßnahmen zur Risikominderung durchgeführt, um das moralische Risiko zu minimieren.

Die EU-Kommission hat angekündigt, die Berichtspflichten für Unternehmen um 25 Prozent zu reduzieren. Wo sehen Sie Potenzial, um den bürokratischen Aufwand der aktuellen EU-Regulierung für Versicherungsunternehmen und die Informationsflut für Verbraucher zu verringern? Wo sehen Sie das Potenzial für EIOPA, zur Erreichung dieses Ziels beizutragen?

Die Initiative der EU-Kommission dreht sich um das Thema Wettbewerbsfähigkeit. In der gegenwärtigen Situation, angesichts der geopolitischen Entwicklungen, ist es das richtige Ziel, einem starken und wettbewerbsfähigen Europa Priorität einzuräumen. Ein starkes und wettbewerbsfähiges Europa kann nur mit einem starken und gut funktionierenden Binnenmarkt aufgebaut werden. Dazu bedarf es klarer, wirksamer und effizienter Regeln, die es den Unternehmen ermöglichen, auf einem Markt unter gleichen Bedingungen zu konkurrieren, und es den Verbrauchern ermöglichen, sich sicher zu fühlen, wenn sie investieren und ihre Produkte kaufen. Bei der Verringerung des Aufwands geht es also um die Frage, wie wir unsere Regeln effizienter und intelligenter gestalten können.

In mehreren Bereichen hat EIOPA bereits zu diesem Ziel beigetragen, zB durch eine Vereinfachung der Berichterstattung im Jahr 2023 (mit einer Reduzierung von über 1000 Datenpunkten für kleinere Unternehmen). Im Jänner haben wir Vorschläge zur verstärkten Anwendung der Proportionalität vorgelegt, und im Juli werden wir weitere Vorschläge zur Verringerung des Meldeaufwands für unseren Sektor vorlegen.

Ich freue mich auch, dass Sie speziell auch die Informationsflut für die Verbraucher ansprechen, da wir die Verringerung des Aufwands in einem größeren Rahmen als nur für die Unternehmen sehen. Klare, einfache und leicht verständliche Anleitungen für die Verbraucher sind auch für die EIOPA ein wichtiger Schwerpunkt. Das von mir erwähnte Sensibilisierungsinstrument für Naturkatastrophenrisiken und Präventionsmaßnahmen ist ein Beispiel dafür, dass wir auch wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen, um unsere Kommunikation zu verbessern. Die nächste Phase wäre ein Verbrauchertest, der speziell auf Risiken wie Informationsüberflutung abzielt.

Über EIOPA

Anm. d. Red.: NatKat steht Naturkatastrophen