Die Seeversicherung bildet seit Langem das Rückgrat des weltweiten Seeverkehrs und hat sich über Jahrhunderte hinweg an bedeutende Veränderungen angepasst – vom Übergang von Segel- zu Dampfschiffen über Weltkriege bis hin zur Globalisierung. Auch heute ist die Geschwindigkeit des Wandels ungebrochen. Neue regulatorische Anforderungen, veränderte Schiffs- und Ladungstypen und komplexe Lieferketten fordern die Branche heraus, doch Transportversicherer bieten weiterhin Schutz und Stabilität in einer zunehmend unsicheren und unberechenbareren Welt.

Geopolitische Herausforderungen

Die anhaltende geopolitische Instabilität wirkt sich direkt auf die Handelsschifffahrt aus. Der Krieg in der Ukraine und die Auseinandersetzungen im Nahen Osten haben neue Risiken für stark befahrene Routen wie das Schwarze Meer und das Rote Meer mit sich gebracht. Trotz der erhöhten Bedrohungslage haben viele Seeversicherer den Versicherungsschutz aufrechterhalten. Dies ermöglicht Reedereien den weiteren Betrieb in Hochrisikogebieten.

Dennoch bringen Umleitungen um das Kap der Guten Hoffnung neue Risiken mit sich – längere Fahrtrouten, begrenzte Reparaturinfrastruktur und unbekannte Gewässer – was eine aufmerksame Zeichnungspolitik erfordert. Sanktionen, insbesondere gegen den russischen Handel, haben zudem globale Handelsströme gestört und zur Entstehung der sogenannten „dark fleet“ geführt – nicht regulierte Schiffe ohne oder mit nicht ausreichendem Versicherungsschutz, die erhebliche Umwelt- und Finanzrisiken darstellen.

Weitere Handelssanktionen und Zölle belasten die Lieferketten zusätzlich, beeinflussen Frachtwerte und Versandvolumen. Mit der zunehmenden Regionalisierung des Handels müssen sich Versicherer auf neue Anforderungen und Risikoverteilungen einstellen.

Der Klimawandel

Die maritime Industrie befindet sich im Übergang zu einem klimaneutralen Betrieb bis 2050 – eine Herausforderung auch für Versicherer. Auf dem Weg zur Dekarbonisierung bringen alternative Antriebsarten wie Ammoniak, Wasserstoff, Methanol, Brennstoffzellen oder Windunterstützung jeweils eigene neue Risiken mit sich. Versicherer müssen flexibel bleiben, die neuen Techniken verstehen und passende Produkte und Preisstrukturen entwickeln.

Gleichzeitig verändert sich auch die Art der transportierten Güter. Der Transport umweltfreundlicher Technologien – wie zum Beispiel Lithium-Ionen-Batterien – erfordert neue Sicherheitsüberlegungen. Diese Batterien, etwa in Elektrofahrzeugen, können unter bestimmten Bedingungen Brände oder Explosionen auslösen. Versicherer müssen entsprechende Präventionsmaßnahmen empfehlen und neue Risikomodelle entwickeln.

Digitaler Wandel

Die Digitalisierung verändert auch die Seeversicherung grundlegend. Echtzeitdaten von Schiffen, Fracht und Häfen ermöglichen eine präzisere Risikomodellierung, vorausschauende Schadenverhütung und schnellere Schadenbearbeitung. Mit Hilfe von maschinellem Lernen und prädiktiver Analyse vollzieht sich ein Wandel von der reaktiven zur proaktiven Risikoabsicherung.

Mit der zunehmenden Abhängigkeit von digitalen Systemen steigt auch die Gefahr von Cyberrisiken. Versicherer müssen ihren Cyberschutz ausbauen und robuste Rahmenwerke schaffen, um sich gegen Hacking, Ransomware und andere digitale Bedrohungen zu wappnen. Wichtige Schwerpunkte sind die Verbesserung der Risikoeinschätzung, die Automatisierung von Dokumentationen, beschleunigte Schadenbearbeitung und effektive Präventionsmaßnahmen.

Ausblick

Geopolitische Risiken, der Kampf gegen den Klimawandel und die digitale Transformation prägen die Zukunft der Seeversicherung. Diese Herausforderungen bringen nicht nur Negatives, sondern auch Chancen für Innovation und Weiterentwicklung. Seeversicherer können hier als exzellenter Kompetenzträger agieren und Kunden in ihrem Risk Assessment beraten. Weitere Themen wie Schiffssicherheit, Piraterie und Meeresverschmutzung bleiben ebenfalls im Fokus der IUMI.

Die Seeversicherung hat über Jahrhunderte hinweg durch Anpassungsfähigkeit und Weitblick ihre Widerstandsfähigkeit bewiesen. In der heutigen Zeit wird der Erfolg nicht nur daran gemessen, wie gut Schäden versichert werden, sondern auch daran, wie aktiv die Branche eine sichere, nachhaltige und digital vernetzte Schifffahrt der Zukunft mitgestaltet. Der Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs ist einer von 42 starken nationalen Mitgliedsverbänden der IUMI.

Autor: Lars Lange, Generalsekretär der International Union of Marine Insurance (IUMI)

Fachbeitrag aus perspektiven 03/2025